ANgeDACHT
Liebe Gemeinde,
blicken doch wir mal miteinander auf diesen Sommer zurück. Eine euphorische Fußball-EM in den deutschen Stadien, viele Helferinnen und Helfer von der Feuerwehr und den Rettungsdiensten, die sich auch aus unserer Region auf den Weg gemacht haben, um vor Ort zu unterstützen. Ein gelungenes Event, umso toller, dass „unsere Mannschaft“ sogar noch bis ins Viertelfinale kam und letztendlich gegen den Europameister verloren hat! Ein Erfolg gegen alle Erwartungen, oder? Ein Erfolg, der das Gemeinschaftsgefühl wieder neu entfacht hat!
Sportlich ging es dann in Paris weiter, auch hier holten „unsere Olympioniken“ auf dem Pferd, im Wasser und durch ganzen Körpereinsatz Medaillen und erreichten persönliche Bestzeiten. Gemeinsame Freudenstunden im Zeichen der olympischen Flamme.
Ein buntes Fest feierten wir auch Mitte Juni im Kurpark in Bad Oeynhausen. Mit einem vollbesuchten Abschlussgottesdienst und einer segensreichen Stimmung am Sonntag endete der Kreiskirchentag! Unter dem Motto „Vielfalt- kannste haben!“ zeigte und positionierte sich der Kirchenkreis Vlotho an diesen zwei Tagen klar mit all seinen Arbeitsbereichen, Angeboten für Groß und Klein, kulinarischen Highlights, Konzerten und Talkrunden für Facettenreichtum, Toleranz und eine vielfältige, diverse Kirche.
Umso größer war der Schock, als eine Woche später ein 20-jähriger Mindener, Opfer einer furchtbaren, tödlichen Gewalttat wurde. Da, wo wir als Gemeinde, gemeinsam mit dem Kirchenkreis, noch die Vielfalt gefeiert haben, wurde wenige Tage später ein 18-jähriger Syrer zum Tatverdächtigen und Bad Oeynhausen zu einem stark medialen Thema. Es folgte eine sehr aufgeheizte Stimmung, die sogar bis in den Bundestag reichte und Gemeinschaft auf die Probe stellte. Der Ton wurde rauer und die Vielfalt zum Angriffspunkt. Aber genauso taten sich auch viele Stimmen zusammen, die sich klar gegen Hass und Hetze positionierten.
Wer die Schuld trägt, dass es überhaupt zu dieser Tat kommen konnte und, dass solche Taten in Zukunft verhindert werden könnten, darüber debattieren Politikerinnen und Politiker, das klärt die Staatsanwaltschaft. Doch wie wir als Gesellschaft damit umgehen, als Christenmenschen hier in Löhne und welche Folgen wir persönlich für unser Reden, Handeln und Denken daraus ziehen, dass ist uns selbst überlassen. Und hier sind wir vielleicht besonders in diesen Tagen genau als Christinnen und Christen gefragt ...
Es sind entscheidende Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Hier treten Parteien in den Vordergrund, die Antworten auf die Krisen unserer Zeit bieten, die dazu aber mit ihren Ideen und Visionen an die dunkelsten Zeiten der deutschen Geschichte erinnern. Die Barmer Theologische Erklärung von 1934 formulierte eine klare Abgrenzung gegen den nationalsozialistischen Wahn, für uns heute ein Schriftstück, das als Mahnung in Erinnerung bleiben muss – von unseren christlichen Schwestern und Brüdern formuliert.
Auch in der Bibel lässt Gott die Vielfalt gewinnen und die Vereinheitlichung, im wahrsten Sinne des Wortes, zusammenfallen. Die Geschichte vom Turmbau zu Babel (Gen11). Der Bau der einen Stadt, des einen himmelshohen Turms und die eine Sprache – wörtlich übersetzt eigentlich die Rede mit lauter übereinstimmenden Wörtern – sollen Vielfalt zum Verschwinden bringen. Eindeutigkeit und Uniformität statt Mehrdeutigkeit und Kommunikation.
Und Gott, der lässt das Projekt scheitern und es wird ein Raum geschaffen für eine Vielzahl von Völkern und Kulturen.
Manchmal, da sehnen wir uns vielleicht nach einem großen Turm, ein klarer Blick, wo es hingeht. Eine einfache Sprache, in der es keine Missverständnisse gibt, keine Ausgrenzung, weil alle wissen, was gemeint ist. Aber wie langweilig wäre dann die EM gewesen, wenn die Niederlande in Orange nicht von rechts nach links durch die Straßen getanzt wäre, oder die Schotten, die mit ihren Fangesängen „500 Miles“ durch die Straßen zogen. Wie trist wäre unser Kreiskirchentag ohne die bunten Gewänder unserer Tambararedelegation gewesen, wie ruhig ohne Sambakombo des Wittekindshof.
Und so ist es nun an der Zeit sich zu bekennen. Dafür einzustehen, was wir wollen: eine freiheitliche, demokratische Gesellschaft, in der sich jede und jeder frei entfalten kann, sein Leben selbstbestimmt leben kann – solange er oder sie nicht gegen das Gesetz verstößt. Aber wir müssen auch zeigen, was wir nicht wollen: Ausgrenzung, Populismus, Hass.
Gott hat die Vielfalt in unser Herz gesät, er das Chaos geordnet und die Welt, auf und in der wir leben, als einen bunten Ort geschaffen.
Ich wünsche Ihnen nach diesem vielfältigen Sommer mit seinen Höhen und Tiefen: Zeit, um zur Ruhe zu kommen, Zeit für das Miteinander und Begegnungen, hoffnungsvolle Tage, auch wenn die Blätter fallen. Bleiben Sie behütet,
Ihre Pastorin Linda Stucke-Troks